Die Anatomie eines guten Coaching-Gesprächs
"Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungs- / Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen / Organisationen. Zielsetzung von Coaching ist die Weiterentwicklung von individuellen oder kollektiven Lern- und Leistungsprozessen bzgl. primär beruflicher Anliegen". (Deutscher Bundesverband Coaching e.V., Osnabrück)
Coaching ist eine viel diskutierte Disziplin, die aus meiner Sicht auf eine relativ einfache Formel gebracht werden kann.
Eine Führungskraft erlebt vielleicht eine der folgenden Symptome:
- empfindet ein Lücke im eigenen Leistungsspektrum
- erkennt an sich eine unterentwickelte soziale Fertigkeit
- erlebt Dissonanz oder Ablehnung im Team
- möchte charismatischer (hör- und sichtbarer...) Präsentieren
- benötigt mehr persönliche Mittel der Einflussnahme in einer Matrix-Organisation
und wendet sich an einen Coach.
Zusammen mit dem Coach, der mit einem Werkzeugkasten von Fragetechniken ausgestattet ist, wird nun ein Gespräch geführt entlang eines einfachen Gesprächsleitfadens, GROW genannt. In gemeinsamen Gesprächen wird das GROW Modell immer wieder als Trägersubstanz eines guten Gesprächs verwendet. GROW ist ein Akronym und steht für G=Goal; R=Reality, O=Obstacles und Options; W=Way Forward, Will und Wrap-up.
Das Grundanliegen basiert immer auf einen klar identifzierbaren Ist-Zustand, ein klares Bild von einem künftigen Soll-Zustand, und das Coaching dient der Begleitung entlang des Weges von Ist zu Soll. Coaching hat also mit dem Lückenschluss zu tun zwischen IST und SOLL.
G=Goal
Bei der Zielsetzung gibt es zwei Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Es gibt einmal das übergeordnete Ziel, das der Coachee am Ende der gemeinsamen Gespräche erzielen möchte. Zweitens gibt es das Nahziel, das gewünschte Ergebnis des aktuellen Gesprächs. Dieses ist meistens als Unterziel des großen Ziels erkennbar. Beim ersten Buchstabens sprechen wir in anderen Worten vom Soll-Zustand.
Das Gesprächsziel wird an dieser Stelle mit der SMARTI-Formel auf Plausibilität überprüft.
R=Realities
Der nächste Gesprächsabschnitt fragt nach dem Ist-Zustand; wo steht der Coachee heute?. Hierzu gehören Fragen zur Historie des Problems, beteiligte Personen, beobachtbare Symptome, die auf ein Problem oder eine Störung schliessen lassen. Wann äussert sich das Problem in welcher Weise? Unter Umständen kann auch gefragt werden, ob es eine Arbeitshypothese zum derzeitigen Stand gibt.e
Gemäß einer der Grundprämissen der Theorie der "Vier Räume der Veränderung", ist ein Coachee unterwegs zwischen dem Raum der Selbstzensur und Verweigerung und dem Raum Verwirrung. Das bedeutet, der Coachee richtet seinen selbstkritischen Blick auf sich und sieht sich relativ realistisch. Zumindest zensiert er nicht seine Realitäten, sondern beschreibt sie nüchtern, wie sie ist.
G+R
Die beiden ersten Gesprächsphasen können noch einmal im Zusammenspiel auf der Metaebene betrachtet werden. Hierzu kann beispielsweise eine Karte auf dem Teppichboden den heutigen Ist-Zustand repräsentieren, eine andere Karte im Abstand plaziert den Soll-Zustand. Coach und Coachee stellen sich zur ersten Karte und präzisieren noch einmal den "R-Platz", schreiten dann gemeinsam über die Lücke und stellen sich zum "G-Platz" mit der Frage, woran man erkennen wird, dass der Coachee sein Ziel erreicht hat. Wie sieht es aus, wie klingt es, wie fühlt es sich an, was sagen andere Leute, was sagst Du?
O=Obstacles; Options
In der nächsten Phase findet nun eine gemeinsame Reise beim Lückenschluss zwischen dem G und dem R statt. Zunächst stellt der Coach die O=Obstacles Frage, nämlich nach den Hindernissen, die dem Coachee zur Zielerreichung im Wege stehen. Hier wird unterschieden zwischen Hindernisse, auf die der Coachee Einfluss hat und solche, die ausserhalb der Einflusssphäre des Coachees liegen.
Jetzt wird die O=Optons Frage gestellt, nämlich die nach den Möglichkeiten, Wegen und Antworten zwecks Zielerreichung abzielen. Hier werden durch Fragen die inneren Ressourcen mobilisiert, die dem Coachee helfen können, die Lücke zwischen Wirklichkeit und Wunsch zu überbrücken. Auch exterme Ressourcen können hier thematisiert und als Optionen in Betracht gezogen werden.
Nach einer gemeinsamen Reflexion legt der Coachee sich auf den Weg fest, der am vielversprechendsten ist. Dieses kann sich gegebenenfalls entlang der Formel "low hanging fruit" und "quick wins" orientieren. Schnelle, sichtbare Erfolge können manchmal wichtig sein, dem Coachee ein zuversichtliches Gefühl der Kontrolle und der Zielerreichung zu geben.
W=Way Forward; Will; Wrap-up
In dieser letzten Phase des Gesprächs wird der "Way Forward" präzisiert in Form eines Kontrakts mit dem Coachee. Was macht der Coachee konkret als nächstes mit welchen Ressourcen und welchen Personen bis zu welchem Datum? Hier kann dann auch gleichzeitig das nächste Coachinggespräch vereinbart werden. Dann wird der "Will" noch einmal abgeklärt, als die Motivation des Coachees. Wer kann dem Coachee hierzu nach Bedarf zur Seite stehen? Was könnte noch zusätzlich hilfreich sein? Zum Schluss wird das Gespräch mit einer kurzen Zusammenfassung geschlossen um sicherzustellen, dass ein gemeinsames Verständnis des Gesprächs besteht. Dieses ist die abschliessende "Wrap-Up" Phase.